Expertin: «Angehörige von psychisch Erkrankten brauchen einen Notfallplan»
Die Bündner Sozialpädagogin Rahel Striegel spricht über die Rolle der Angehörigen von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie betont die Wichtigkeit der Unterstützung Betroffener durch ihr Umfeld.
Die Bündner Sozialpädagogin Rahel Striegel spricht über die Rolle der Angehörigen von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie betont die Wichtigkeit der Unterstützung Betroffener durch ihr Umfeld.
Daher sei es wichtig, mit Eltern und Kindern das Gespräch zu suchen und ihnen zu erklären, dass es nicht darum gehe, wer schuld sei. Mittels Psychoedukation werde versucht, die Angehörigen genau über die jeweilige Krankheit zu informieren. Und ihnen werde aufgezeigt, wie damit umgegangen werden könne.
Psychoedukation
Psychoedukation ist ein Ansatz in der Therapie, der darauf ausgerichtet ist, Patienten und ihre Angehörigen über psychische Erkrankungen aufzuklären. Es handelt sich um eine therapeutisch begleitete Form der Wissensvermittlung, die darauf abzielt, das Verständnis für die eigene Erkrankung zu verbessern und die Bewältigung dieser zu unterstützen. Häufig werden dabei visuelle Hilfsmittel wie Bilder, Filme und Bücher eingesetzt. (red)
Fehlende Rezepte für den Umgang mit einer psychischen Erkrankung
«Psychische Erkrankungen verlaufen nicht immer gleich», erklärt Striegel. Jeder Fall sei einzigartig und erfordere daher eine individuelle Herangehensweise. Medizinische Diagnosen könnten ein Licht auf die Situation werfen, aber wie die Krankheit das tägliche Leben der Betroffenen und ihrer Familien tatsächlich beeinflusse, lasse sich nicht pauschal sagen.
Es gebe kein Handbuch und keine festgelegten Richtlinien für den Umgang mit einer psychischen Erkrankung im Alltag. «Es ist essenziell, dass jede Familie eine eigene Sprache und Herangehensweise entwickelt», sagt Striegel. Dies sei wichtig, um über die Erfahrungen, Gründe und Konsequenzen der Krankheit im Alltag sprechen zu können.
«Psychische Erkrankungen erfordern ein tiefes Verständnis sowie ein hohes Mass an Empathie und Bewusstsein.»
Die Beziehungsebene spiele eine entscheidende Rolle, denn psychische Erkrankungen würden vor allem zwischenmenschliche Beziehungen belasten. Im Gegensatz zu physischen Erkrankungen, deren Auswirkungen offensichtlich und verständlich seien, werden psychische Erkrankungen oft übersehen. Striegel meint dazu: «Psychische Erkrankungen erfordern ein tiefes Verständnis sowie ein hohes Mass an Empathie und Bewusstsein.»
Fehlende Unterstützung wegen Überlastung
Derzeit besteht gemäss Striegel ein grosser Bedarf an spezialisierten Anlaufstellen für Betroffene, die psychologische Hilfe benötigen. Vorhandene Ressourcen und Angebote würden jedoch nicht ausreichen, um dem gestiegenen Bedarf gerecht zu werden. Weiter führt Striegel aus: «Insbesondere im Bereich der kinder- und jugendpsychologischen Versorgung zeigt sich eine Überlastung.» Das führe dazu, dass Betroffene nicht die notwendige Unterstützung erhalten würden.
Einbezug der Familie in den Behandlungsprozess
Eine enge Zusammenarbeit mit der Familie sei unerlässlich, da psychische Erkrankungen nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihr Umfeld massgeblich beeinflussen. Um eine umfassende und nachhaltige Unterstützung zu gewährleisten, sei der Einbezug der Angehörigen daher nicht wegzudenken. «Oft entstehen gute Ideen, wie man sich gegenseitig unterstützen kann», sagt Striegel dazu. Es sei auch wichtig, Entlastungsangebote wie Selbsthilfegruppen oder Ähnliches zu nutzen, um Erfahrungen auszutauschen und von anderen zu lernen.
Der Rettungsanker – Notfallpläne für Krisenzeiten
Ein wesentlicher Aspekt der Krankheitsbewältigung sei, dass das Umfeld für Notfälle vorbereitet sein sollte. «Angehörige von psychisch Erkrankten brauchen einen Notfallplan», erklärt Striegel. Im Fall einer psychischen Erkrankung der Eltern ist es entscheidend, dass die Kinder wissen, was zu tun ist. Zum Beispiel, wenn die Kinder nach Hause kommen und niemand da ist, oder wenn sie feststellen, dass ein Elternteil alkoholisiert ist oder sich in einer psychischen Notlage befindet.
«Angehörige von psychisch Erkrankten brauchen einen Notfallplan.»
Der Notfallplan kann für diesen Fall bedeuten, dass das Kind zu einem Nachbarn geht, einen Verwandten anruft oder andere festgelegte Schritte unternimmt. Es sei wichtig, dass dieser Plan schriftlich festgehalten werde, so Striegel. Dieser könne beispielsweise an einer Zimmerwand aufgehängt oder ein Foto davon auf dem Handy abgespeichert werden. «Es geht darum, den Angehörigen zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind und dass es spezifische Schritte gibt, um Unterstützung zu erhalten», meint Striegel dazu.
Hoffnung und Perspektive für Angehörige von Betroffenen
Trotz der Herausforderungen, welche mit psychischen Erkrankungen einhergehen, gebe es Grund zur Hoffnung. «Wenn es gelingt, eine Krankheitsphase gemeinsam zu bewältigen, kann dies sehr stärkend für die betroffene Person und ihr Umfeld sein», sagt Striegel. Der Austausch mit anderen Betroffenen und der Aufbau eines Verständnisses für die Erkrankung seien wesentliche Schritte auf dem Weg zur Bewältigung der Situation.
Mauro Sutter ist Onlineproduzent bei «suedostschweiz.ch». Nach der Ausbildung zum Mediamatiker hat er das Studium Multimedia Production an der Fachhochschule Graubünden in Chur absolviert. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung hat Mauro sich 2023 der Medienfamilie Südostschweiz angeschlossen. Mehr Infos
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Bereits Abonnent? Dann schnell einloggen.