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Russland vor der WM: vorsichtiger Optimismus und glänzender Asphalt

Frischer Asphalt ist in Russland immer ein Symbol für zweierlei: Macht und Korruption.

Agentur
sda
31.05.18 - 06:30 Uhr
Fussball
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
KEYSTONE/AP/ANTON BASANAEV

Zum einen ist er eine Art roter Teppich, den die Herrscher für sich vor einem grossen Empfang auslegen, zum anderen ist allen klar, wie viel Geld beim Strassenbau in Russland unterschlagen wird, wo ein Kilometer miserabler Strassenbelag gleich viel kostet wie in der Schweiz. So wurde Anfang Mai auch der Newski-Prospekt, die Petersburger Prachtsstrasse, in Erwartung des Wirtschaftsforums und der Fussball-WM abgesperrt und mit dem schwarz glänzenden Belag versehen.

Sicherlich nicht vorgesehen war die Benutzung des Newskis durch tausende Demonstranten, die am 5. Mai dem Aufruf des Oppositionellen und Gründers der Antikorruptionsstiftung, Alexej Nawalny, gefolgt waren. Da der Schlossplatz abgeriegelt war, wichen sie laut skandierend auf den verkehrsfreien Newski-Prospekt aus - beobachtet von erschrockenen chinesischen Touristengruppen und umkreist von wild heulenden Einsatzwagen der Polizei.

Mehrere Dämpfer für Putin

Solcherlei «Unvorgesehenes» war in den Monaten zuvor schon einiges geschehen. Zwar wurde Wladimir Putin Mitte März wie vorgesehen zum vierten Mal zum Präsidenten gewählt, doch musste er kurz darauf mehrere starke Dämpfer einstecken. Wenige Tage nach seinem Triumph kamen bei einem Feuer in einem Einkaufszentrum der sibirischen Bergbaustadt Kemerowo über 60 Leute ums Leben.

Neben den vielen Opfern schockierte die Bevölkerung die ganze Kette von Schlamperei und Versagen, die dabei ans Licht kam: Behörden, die wegschauten, als das Gebäude illegal und mit mangelndem Feuerschutz gebaut wurde. Eine Feuerwehr, die spät und schlecht ausgerüstet anrückte und wegen einer Fehlinformation viele Kinobesucher im Gebäude einfach hilflos ersticken liess.

Ein weiteres unüberhörbares Warnsignal an «Zar Putin» kam aus dem kleinen Armenien, wo die Bevölkerung durch friedliche Proteste und Sitzstreiks verhinderte, dass der langjährige Präsident Sersch Sargsjan seine Herrschaft als Premierminister künstlich verlängerte. Macht- und hilflos wirkte auch der Versuch des Kremls den Messenger «Telegram» zu blockieren, dessen Urheber sich geweigert hatten, dem russischen Geheimdienst seine Verschlüsselung preiszugeben.

Und dennoch steht die Mehrheit der Bevölkerung hinter dem Präsidenten, der Russland im Syrien-Krieg wieder als Grossmacht etabliert hat und die «heim geholte» Krim durch die kürzlich eröffnete Brücke fest mit dem Mutterland verbunden hat. Der Preis dafür ist die internationale Isolation Russlands, die in Umfragen von der Mehrheit aller Russen mit Besorgnis zur Kenntnis genommen wird.

Viele Russen sind bereit, ihn zu zahlen, weil sie sich von der internationalen Völkergemeinschaft ungerecht behandelt fühlen. Das reicht vom Doping-Skandal, welcher die Teilnahme Russlands an den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang unter eigener Flagge verhinderte, über die Giftaffäre Skripal in England, in der Russland vorschnell schuldig gesprochen wurde, bis hin zum Eurovision Song Contest, von dem man Russland aus politischen Gründen ausschloss. Russland ist an allem schuld.

Keine Euphorie

Selbst seine Fürsprecher in der FIFA - Sepp Blatter und Michel Platini - sind kaltgestellt und zusammen mit Russland mit dem Stigma der Korruption gezeichnet. Das ging vielen Russen an die Ehre und dämpfte die Vorfreude auf die Fussball-WM gewaltig. Die Stimmung ist gedrückt und nicht zu vergleichen mit der Euphorie, die 2014 während den Olympischen Winterspielen in Sotschi herrschte.

Dennoch ist Russland bereit und erwartet seine Gäste mit vorsichtigem Optimismus. Insgeheim hoffen wohl alle, dass der Sport die tiefen politischen Gräben ein wenig vergessen machen könnte. Das neue Zenit-Stadion, das 2017 mit einem leckenden Dach und defektem Kunstrasen eröffnet wurde, ist wie die ganze WM-Infrastruktur im Land auf Vordermann gebracht worden. In den neuen Metrozügen werden Fanzonen und Ticket Corners in perfektem Englisch angekündigt. Es kann nur besser werden.

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