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Belgien - oder die bessere Premier-League-Auswahl

Keine Vorrundengruppe ist eine derartige Zweiklassengesellschaft wie die Gruppe G. Hier die hochdekorierten Stars aus Belgien und England, da die Nobodys aus Tunesien und Panama.

Agentur
sda
07.06.18 - 06:42 Uhr
Fussball
Vincent Kompany - Belgiens Hoffnungsträger mit Fragezeichen (ist er fit?)
Vincent Kompany - Belgiens Hoffnungsträger mit Fragezeichen (ist er fit?)
KEYSTONE/AP/GEERT VANDEN WIJNGAERT

Wenn alles nach Plan verläuft, geht es am 28. Juni im letzten Gruppenspiel in Kaliningrad zwischen Belgien und England nur noch um den 1. Platz. Die Qualifikation für die Achtelfinals müssten sich beide Favoriten mit den zwei budgetierten Siegen gegen Panama und Tunesien vorzeitig sichern. Diese etwas schale Ausgangslage wäre eigentlich unpassend, denn Belgien gegen England ist an sich eine der ganz grossen Affichen der gesamten WM-Vorrunde. Denn es ist auch ein Derby der Premier League.

«Belgien hat die bessere Premier-League-Auswahl als England», sagte kürzlich Alan Shearer auf BBC. Der frühere englische Topskorer liegt vielleicht nicht einmal falsch. Der Torhüter von Chelsea (Thibaut Courtois), der Captain von Meister Manchester City (Vincent Kompany, sofern er fit ist), das defensive Gewissen von Tottenham Hotspur (Moussa Dembélé), der Antreiber von Manchester City (Kevin de Bruyne), der Dribbelkünstler von Chelsea (Eden Hazard) und der Topskorer von Manchester United (Romelu Lukaku): Sie alle stehen an diesem 28. Juni in Kaliningrad nicht für England, sondern für Belgien auf dem Platz.

Das Potenzial der Belgier ist tatsächlich atemberaubend. Die hochklassige und starke Gruppe aus der Premier League wird ergänzt mit Spielern von Paris Saint-Germain, Napoli oder Monaco. Nicht wenige Experten zählen die Belgier daher zum erweiterten Kreis der WM-Favoriten und sehen sie fast auf Augenhöhe mit Deutschland, Spanien oder Brasilien.

Doch mit den Erwartungen ist es so eine Sache für diese Goldene Generation. Schon bei der WM 2014 und bei der EM vor zwei Jahren gaben die Belgier die Halbfinals als Mindestziel aus. Sie scheiterten aber zweimal in den Viertelfinals, und was fast noch schlimmer war: Sie enttäuschten spielerisch in beiden Turnieren. In Russland müssen Hazard, Kompany und Co. liefern. Sonst wird die Goldene Generation von den wenig zimperlichen Medien in Belgien schnell als die verlorene Generation abgestempelt.

Wenn es um schlechte Turniere und frühes Ausscheiden geht, wissen die Engländer besser Bescheid als fast alle anderen. Island oder Costa Rica hiessen die letzten Stolpersteine. Nur noch selten schafften es die Engländer zuletzt bei WM oder EM in die Top 8, von einem Halbfinal ganz zu schweigen. Der letzte liegt 22 Jahre zurück.

In Russland tritt England mit einer guten und jungen, aber keineswegs überragenden Mannschaft an. Die meisten Engländer spielen zwar bei den Top-Klubs der Premier League, stehen dort aber im Schatten der Weltstars aus dem Ausland - zum Beispiel aus Belgien. Eine Ausnahme ist Harry Kane, der für Tottenham Hotspur in den letzten vier Saisons 135 Tore erzielt hat. Ein Wert, den sonst nur Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi erreichen.

Harry Kane also ganz vorne - und ganz hinten? Es gehört zu jedem Turnier, dass der englische Keeper mindestens einmal schwer daneben greift. Joe Hart, der Hauptsünder der letzten Jahre, steht nach einer schlechten Saison nicht mehr im Aufgebot. Diesmal dürfte Jordan Pickford von Everton die Nummer 1 sein. Der hat zwar erst drei Länderspiele absolviert, aber Nationalcoach Gareth Southgate kennt ihn aus der U21-Auswahl, die er bis zu seiner Beförderung im Herbst 2016 betreut hat.

Pickford mag talentiert sein, doch auch bei den Torhütern gilt: Vorteil Belgien. Während Pickford erst zwei Saisons in der Premier League absolviert hat, ist Thibaut Courtois ein hochdekorierter Torhüter. Er gewann mit Chelsea zwei Mal die Meisterschaft, einmal holte er mit Atlético Madrid den Titel und er stand vor vier Jahren im Final der Champions League.

Vergleiche zwischen Panama und Tunesien mit Engländern oder Belgiern kann man nicht einmal an den Haaren herbeiziehen. Die beiden Favoriten und die beiden Aussenseiter trennen Welten. Das sehen auch die englischen Buchmacher so: Für sie sind Panama und Tunesien zusammen mit Saudi-Arabien die grössten Aussenseiter der WM.

Tunesiens hierzulande schier unbekannte Auswahl hofft zumindest im Spiel gegen Panama auf den ersten Sieg an einer WM seit 40 Jahren. 1978 beim Debüt siegten die Nordafrikaner gegen Mexiko 3:1. Seither folgten elf Spiele mit vier Remis und sieben Niederlagen. Tunesien verfügt über weniger illustre Einzelspieler als die nordafrikanischen Nachbarn Marokko, Ägypten oder das nicht für die WM qualifizierte Algerien. Mehr als die Hälfte des WM-Kaders ist in Ligen in Tunesien, Ägypten oder Saudi-Arabien engagiert. Bassem Srarfi, der bei Nice unter Lucien Favre meist nur zweite Wahl war, ist der einzige Spieler mit Europacup-Einsätzen in der letzten Saison.

Auch bei Panama sucht man vergeblich nach bekannten Namen. Gabriel Torres hat im vergangenen Herbst als Lausanne-Spieler im entscheidenden Spiel in der Qualifikation gegen Costa Rica ein (Phantom-)Tor erzielt, nun steht er bei Huachipato in Chile unter Vertrag. Die meisten seiner Kollegen spielen in den USA oder in Mittelamerika. Dies führt dann doch noch zu einem Vergleich mit England: Panamas WM-Kader soll einen Marktwert von 9,4 Millionen Euro haben. Dafür gibt es nicht einmal einen Zehntel von Harry Kane.

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