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Rehbrunnen im Buchwald in Netstal

Dienstag, 22. August 2017, 18:40 Uhr

Rehbrunnen im Buchwald in Netstal

Als sportbegeisterter Junglehrer hielt ich mich mit meinen Schulkindern zum Spielen oft im Buchwald auf. Die dichtstehenden Buchen spendeten an warmen Tagen Schatten und verhinderten, dass Stauden und Jungholz wachsen konnten. Es war ein idealer Platz zum Spielen. Mein Kollege Florian Riffel machte mich darauf aufmerksam, dass im Buchwald der sogenannte Rehbrunnen läge. Natürlich wollte ich mehr darüber wissen. Die aus einem Stück gehauenen Dorfbrunnen, wie sie heute noch in fast allen Dörfern kühles Trinkwasser anbieten, wurden an Ort und Stelle bearbeitet und die fertigen Brunnentröge in mühsamer Arbeit in die verschiedenen Dörfer geschleift. Dieser Transport war nur im Winter möglich, weil kein Wagen das Gewicht des Brunnens zu tragen vermocht hätte. Wie im Glarner Heimatbuch, das bis vor einigen Jahren jedem Fünftklässler abgegeben wurde, beschrieben, stammt der Dorfbrunnen von Betschwanden aus dem Löntschbett in Riedern. Die 85 Tagwensbürger benötigten einen ganzen Tag, um das Brunnenbett am 16. März 1855 auf einer extra für diesen Transport angefertigten Schleipfe nach Betschwanden zu ziehen.

Ein solcher Brunnentrog wurde auch am Fusse des Wiggis aus einem Felsblock gehauen. Leider erlitt er auf dem Transport ins Dorf einen Schaden, der ihn unbrauchbar machte. So liess man ihn im Buchwald einfach liegen. Bei Regen füllt sich der unbeschädigte Teil mit Wasser und dient den Wildtieren als Tränke. Daher kommt wahrscheinlich auch sein Name "Rehbrunnen".

In den 90er-Jahren riss ein Sturm eine Lücke mitten in den Buchwald. Schnell wuchsen in diesem Stück Stauden und Jungwald. Sie überwucherten auch den Rehbrunnen, der mit der Zeit unsichtbar wurde und dadurch in Vergessenheit geriet.

Erst bei meiner Arbeit für die Website www.pronetstal.ch, auf der ich alle Brunnen im Dorfe abbilden wollte, brachte mir die Erinnerung an den Rehbrunnen zurück. Ich machte mich auf, um nach ihm zu suchen, leider ohne Erfolg. Ältere Leute, die ich fragte, konnten sich auch noch an ihn erinnern, doch wusste niemand, wo er war. In meinem Bekanntenkreis hatte sich herumgesprochen, dass ich nach ihm suchen würde. Eines Tages bekam ich ein Telefon von einer Frau, die den Brunnen gefunden hatte und mir den Weg zu ihm beschrieb. So wurde auch ich fündig und konnte mit der Säge meines Sackmessers den Brunnen soweit vom Dickicht befreien, dass ich ein Bild von ihm machen konnte.

Nach dem Felssturz im Februar 2017 und den nachfolgenden Murgängen musste etwas zum Schutz des im Einzugsgebiet der Plängglirunse gelegenen Kulturlandes getan werden. Da das Gerinne dieser Runse vom Felsabbruch zugeschüttet wurde, konnte nur ein Schutzwall helfen. Einem seit langem im Dorfe ansässigen Netstaler brauche ich aber nicht zu erklären, dass der Schutzwall weder gegen Staublawinen noch gegen Bergstürze etwas nützt. Ich habe im Schulhaus einige grosse Lawinenniedergänge erlebt und sie auf der Website von Pro Netstal beschrieben. Der viel zitierte Schutzwald stand vor dem Lawinenniedergang und auch noch nachher. Die Schäden am und im Schulhaus konnten jedoch von ihm nicht verhindert werden.

Dämme bringen einen gewissen Schutz gegen die Murgänge und dienen auch als Sammler. Einen hundertprozentigen Schutz jedoch gibt es nicht. Darum wurde der erste Schutzwall nach dem ersten Murgang, der die Mugiweide überschwemmte, sofort gebaut und der zweite wird in diesen Tagen erstellt. Er soll die Weiden im Hof schützen und einen allfälligen Murgang durch den Buchwald Richtung Butzirunse leiten.

Nachdem die für den Damm nötige Waldrodung in Angriff genommen wurde, rief mich die Brunnenfinderin an und meldete ihre Besorgnis für den Rehbrunnen an. An einem Sonntag machte ich eine Besichtigung der Baustelle und fand den Brunnen etwa hundert Meter oberhalb des Rodungsrandes. Ich wollte aber sicher sein und rief auf dem Bauamt der Gemeinde an. Dieses verband mich mit dem für diesen Wald zuständigen Förster Richi Gisler. Die Geschichte vom Rehbrunnen war für ihn neu, und er wollte diesen Brunnen sehen. Zehn Minuten später holte er mich daheim ab und fuhr mit mir zur Butzirunse. Von dort auf dem Weg zum Brunnen erzählte ich dessen Geschichte auch noch dem Chef der Forstequipe, welcher sofort auch Interesse zeigte und uns begleitete. Beim Brunnen fanden beide, dass dieser Zeitzeuge erhalten bleiben müsste. Der Förster markierte die Stelle und erteilte noch den Auftrag, den Platz von Stauden und Gestrüppen frei zu machen, damit die Stelle besser zu finden wäre. Auf dem Rückweg trafen wir noch den leitenden Ingenieur an, welcher bestätigte, dass der Bau des Walles den Rehbrunnen in keiner Weise tangiere.

Einmal mehr machte ich die Erfahrung, dass es besser ist, wenn man seine Informationen bei den Stellen holt, die die Sache bearbeiten. An dieser Stelle möchte ich mich beim Förster Richi Gisler, beim Chef der Forstequipe und dem leitenden Ingenieur ganz herzlich bedanken für die Zeit, die sie sich für mich und mein Anliegen genommen haben. Ich werde mich weiterhin hüten, ins Horn der Pessimisten und Schlechtmacher zu stossen.

 

 

Ort:
8750 Glarus
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